Eine kleine Autobiografie Mein Lebensweg als „Bildungsroman“ zwischen zwei Epochen

Als Kind liebte ich als Land- und Leseratte das Meer, die Seefahrt, Entdeckungsfahrten und neue Kontinente sowie alte menschheitliche Kulturen bis in die Steinzeit hinein. Ich spielte im Verein Fußball und im Schulsport Basketball. Die erste neue kulturelle Entdeckung waren der Moog-Synthesizer und die E-Gitarre und zunächst die klassische Musik, die man mit deren Hilfe neu vertonen konnte. Der Hintergrund meiner intellektuellen Lebensgeschichte bildete sich in zunächst in einem Umfeld aus, das man mit drei musikalischen Zitaten: „Won‘t Get Fooled Again“ (The Who), „Thick as a Brick“ (Jethro Tull) und „Questions“ (Moody Blues) umschreiben könnte. Mit dem Beginn der gymnasialen Oberstufe transformierte sich mein Interesse an Entdeckungsfahrten in den Bereich der Wissenschaft. Dieser umfasste zunächst im Besonderen die Biologie, nachdem ich in einer Freistunde in der Schulbibliothek Werke zur Evolutionstheorie, zur Genetik und zur Erdgeschichte entdeckte, und konkret – treu zu der Tradition aus meiner Kinderzeit – die Meeresbiologie und Ozeanografie. Im Rahmen des EU-Programms zum deutsch-französischen Schüleraustausch fuhr ich zum ersten Mal allein 1971 in die Normandie ans Meer. Unsere Familien besuchten sich gegenseitig in den folgenden zwei Jahren und wir sind noch immer miteinander befreundet. In diesem Bereich hat die europäische Integration voll geklappt. Inspiriert durch die US-amerikanische Umweltbewegung im Geiste der Hippies wuchs mein Interesse an ökologischen Fragen. Journalistische Neigungen realisierte ich durch redaktionelle Arbeit zunächst an einer Würzburger Schülerzeitschrift, später an einem entsprechenden Publikationsorgan der katholischen Hochschulgemeinde.

Durch Buchgeschenke lernte ich sowohl Heisenbergs Unschärferelation wie Friedrich Nietzsche kennen, von dem ich später in meinem Studium erfuhr, dass er genau genommen ein erster Vertreter der evolutionären Erkenntnistheorie mit philosophischer Ausrichtung war. Unmittelbar faszinierend war für mich an Nietzsche die mit ihm verbundene Ursprungsgeschichte des europäischen Nihilismus und seine Ausprägung im französischen Existenzialismus. Meine philosophischen Neigungen konnte ich am besten in den Deutschunterricht einbringen (z.B. in Referaten zu Kepler und Paracelsus bei der Behandlung des Fauststoffes oder über den Existenzialismus bei der Behandlung von Albert Camus). Zum Philosophieunterricht bin ich zwei Jahre in das benachbarte humanistische Gymnasium gegangen. Er wurde von einem Priester gelehrt und war dementsprechend klassisch. Von diesem Hintergrund getragen wurden meine schulischen Leistungen besser. Und so beendete ich diesen Abschnitt in meinem Leben mit einem Satz in meinem Abiturzeugnis wie: „Der Schüler zeigte bereits Ansätze zu wissenschaftlich-theoretischem Arbeiten“ und einem Abiturschnitt, der zum sofortigen Beginn eines Medizinstudiums berechtigt hätte. Ich habe dem familiären Druck widerstanden und wäre sicher auch kein guter Arzt geworden, aber ich versprach immerhin, Doktor zu werden.

Mein Studium in Würzburg war geprägt vom Elfenbeinturm pur einer interkulturellen Philosophie und Religionswissenschaft bis in die Ursprünge von Naturreligion, Ahnenkult, Schamanismus und Erdmedizin, die ich im Rahmen meines späteren internationalen Lehrprogramms zum Themenfeld Religion und Nachhaltigkeit in Zentral-Indonesien, in Tamil Nadu (Südindien), in Ostafrika (Äthiopien, Kenia) und in der südlichen Andenregion (Chile, Bolivien) mit lokalen Kooperationspartnern vertiefen konnte. Es entwickelte sich zu einem Doppelstudium von Philosophie mit den beiden Nebenfächern Indologie (altindische Philosophie) und neuere deutsche Literaturgeschichte vom Herbst 1973 bis Winter 1982. Ab dem Wintersemester 1974/75 bis zum Sommer 1979 studierte ich Lehramt Gymnasien für Deutsch und katholische Religionslehre mit Erweiterungsfach Philosophie (1980). Ich studierte Indologie in sehr großem Umfang, viel mehr als für ein Nebenfach üblich. Die Terminologie altindischer Philosophie in allen drei religiösen Ausprägungen, einschließlich Medizin und Astronomie/Astrologie, erarbeitete ich mit Hilfe von Josef Friedrich Kohl seit seinem Eintritt in den Ruhestand in Veranstaltungen mit wenigen bis nur einem Teilnehmer minutiös und etymologisch ableitend im philosophischen Kontext. Er prüfte mich auch in altindischer Philosophie in voller Breite im Rigorosum.

In Würzburg wurde ich in philosophisches Denken und Arbeiten wohl recht gründlich eingeführt und setzte mich zunächst mit der Hermeneutik in drei Ausprägungen auseinander: in der Germanistik, in der Theologie als historisch-kritische Methode und philosophisch als theoretische Philosophie (Metaphysik, Epistemologie und Wissenschaftsphilosophie) zunächst im Umkreis von Rudolph Berlinger und seinen Schülern zur Vorsokratik bis Augustinus mit Schwerpunkt bei Platon und dem Platonismus sowie im 19. Jahrhundert (Schelling, Schopenhauer, Nietzsche, Marx), dann Kant und den Kantianismus (durch die Herren Flach und Königshausen) und im Promotionsstudium durch meinen Doktorvater Alfred Schöpf in den Bereichen Anthropologie, Moralphilosophie und Psychotherapie. Gegenstand des philosophischen Teils meines Rigorosums waren die Phänomenologien von Hegel, Husserl und Merleau-Ponty. Eine Graecum-Prüfung legte ich nach dreisemestrigem Kurs an der Uni an dem humanistischen Gymnasium ab, an dem schon mein Philosophie-Kurs stattfand.

Eine Hinwendung zur Skepsis ergab sich aus meinen Forschungen zur Literatur der Aufklärung aus meinem Studium der Neugermanistik mit einem Schwerpunkt bei Herrn Hans-Jürgen Schings, bei dem ich vor allem durch die Interpretation der Geschichte des Romans des 20. Jahrhunderts vom Fin de Siècle über die Nachkriegszeit bis in seine damals allerneuesten Ausprägungen eine Hermeneutik kennenlernte, die nicht mehr von Gadamer und dem späten Heidegger geprägt war, sondern von Rezeptionsästhetik und einer stark problemgeschichtlich ausgerichteten mehrfachen Kontextualisierung von Literatur ausging. Noch wichtiger war meine Beschäftigung mit dem 18. Jahrhundert, mit der medizinischen Anthropologie materialistischer Art, mit Erfahrungsseelenkunde und pietistischer Empfindsamkeit (in der Ausprägung beim frühen Schiller, Moritz, Wieland, Popularphilosophie, Eklektizismus und Commonsense). Sie veranlasste mich, meine Staatsexamensarbeit in Germanistik über klandestine Literatur zwischen Spätaufklärung und Frühromantik (Romane Wetzels, Klingers und die Nachtwachen von Bonaventura) abzufassen. Ergebnisse dieser Arbeit wurden publiziert in einem Aufsatz zum satirischen Realismus aus dem Jahre 1990. Meine philosophische Dissertation entwickelte eine Modellhermeneutik für die Philosophie der Wissenschaft im 18. Jahrhundert zwischen Rationalismus, Empirismus und Commonsense mit anwachsendem Grad von Formen der Skepsis und dem Versuch ihrer Widerlegung. Im Hintergrund hatte ich eine andere Dimension im Blick: das Ende der europäischen Neuzeit. In diesem Zusammenhang stand der Versuch, eine Metaepistemologie der evolutionären Erkenntnistheorie, die mir die Bedeutung von Skepsis klarmachte, verstärkt durch die Beschäftigung mit Metamathematik und Kurt Gödel sowie mit der Fundamentalkrise von Physik und Kosmologie in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts und Husserls Antwort darauf in der Krisis-Schrift. In der Altgermanistik beschäftigte ich mich mit der Religion der Germanen und der Übersetzung entsprechender Texte, in der Mediävistik bei Kurt Ruh mit Parzival, Lanzelot und vor allem deutscher Mystik (besonders ausgewiesen in diesem Bereich), im Bereich Sprachwissenschaften mit der Sprechakttheorie von Austin und Searle. Von der Ausrichtung war die systematische Theologie mein Schwerpunkt. Insbesondere Alexandre Ganoczy, als Vertreter einer synergetischen christlichen Schöpfungstheologie haben mich hier geprägt, genauso wie die Beschäftigung mit orthodoxer Theologie und Ritualistik im Geiste des Neuplatonismus.

Die wilden Jahre und der radikalste Bruch in meiner Biografie lagen in der Zeit zwischen meiner Promotion in Philosophie in Würzburg und dem Beginn meiner Forschungs-Assistentenstelle an der LMU München, insgesamt drei an der Zahl. Eine gewisse Kontinuität vermittelte mein Home-Office in meinem Elternhaus am Rande von Würzburg seit 1975 (ein solches habe ich ohne Unterbrechungen bis heute) und die (ehrenamtliche) Stelle als Sekretär von Steig e.V., beauftragt mit dem Strukturaufbau des Vereins. In diesem spielte die Philosophie von Anfang an eine integrierende Rolle, mit der Organisation von Bildungsveranstaltungen auch mit katholischen und evangelischen Akademien sowie mit interdisziplinärer Forschung. In einer Gruppe diskutierten wir den Zusammenhang von Technik und Ökologie im Spannungsfeld Husserl, Horkheimer und Adorno sowie dem späten Heidegger. Mein Ausgangspunkt war Husserls Krisis-Schrift schon in den letzten Jahren meiner Promotion, und Gegenstand meines ersten bezahlten Lehrauftrags an der Uni Würzburg, gefolgt von einem Hauptseminar über die sokratische Methode in den platonischen Frühdialogen. Beruflich absolvierte ich mein Referendariat Lehramt Gymnasien in Niederbayern (Wohnorte zweimal ein halbes Jahr in Landshut, ein Zimmer ein Jahr in Passau). In diesem Seminar war ich ein Exot, sowohl was das Herkunftsgebiet wie die Ausbildung betraf. Zwischen meinem Home-Office und den Einsatzorten lagen für Landshut 270 km, für Passau 330 km, wobei ich aus Landshut jedes Wochenende in mein Home-Office gefahren bin, in Passau jedoch gelegentlich auch blieb (nicht zuletzt zum Wandern und Skilanglauf), denn dort hatte ich gute Freunde, die nicht dem Referendariat entstammten.

Nach dem Elfenbeinturm wurde durch das Referendariat aus einem schüchternen, introvertierten und in Meditationskursen geübten Studenten ein junger Mensch, der zwar eine wissenschaftliche Karriere anstrebte, aber Philosophieren als gesellschaftlichen Auftrag und nicht nur als akademische Disziplin betrachtete. Vorbereitet war ich durch die wachsende Vertrautheit mit der skeptischen Tradition und der Tatsache, dass ich mit der altindischen und asiatischen Philosophie eine Alternative zur europäischen Tradition kennengelernt hatte. Akademisch war ich mit dem Cusanuswerk und Steig e.V. im Umfeld eines liberalen und an Wissenschaft orientierten Katholizismus großgeworden. Außerdem wollten meine Seminarlehrer mich um jeden Preis von einem absoluten Theoretiker zu einem Pädagogen für den Alltag machen. Daher setzten sie mich vor allem in der Unter- bzw. Mittelstufe ein, nur ein einziges Mal in der 10. Klasse, weil auch in der Oberstufe eine Lehrprobe zwingend vorgeschrieben war. Vor allem im Zweigschuleinsatz, in dem die Lehrertätigkeit eigenverantwortlich unter Supervision durchgeführt werden durfte, hatte ich eine 7. und eine 8. Klasse in Deutsch (zusammen mehr als zwei Drittel meiner Unterrichtsstunden überhaupt), und Religion überwiegend zwischen der 8. und 10. Klasse, darunter ausführlich Weltreligionen. Außerdem waren meine Betreuungslehrer in Pocking selbst entweder Doktor der Theologie oder Lehrbeauftragte an der Uni Passau und hatten etwas mehr Verständnis für jemanden wie mich als in Landshut.

Ich hatte gleich zwei Freunde, die bereits Gymnasiallehrer in Unterfranken waren, und im Referendariat sowohl in Landshut wie in Passau gewesen waren. So hatte ich mit der Zimmersuche keine Probleme und auch so manche Unterstützung bei der Vorbereitung von Lehrproben bzw. Unterrichtseinheiten. Bei früheren Vorträgen an der Uni Würzburg hatte ich alle Texte wortwörtlich von meinen Skripten abgelesen. Dies war allerdings nicht mehr möglich bei 14 Stunden Unterricht in der Woche. Sehr schnell lernte ich die Umstellung auf Stundenskizzen oder sogar Schwellenstunden (das waren Stunden, deren Skizze in den Momenten des Überschreitens der Schwelle zum Klassenraum entstanden). Außerdem kam mir zugute, dass ich noch aus meiner Kindheit trainierter Fußballtorwart war und spektakuläre Reaktionen auf der Linie zeigen konnte. Dies brachte Pluspunkte zumindest bei vielen Schülern und einigen der Kollegen, sowohl in Landshut wie Pocking. Einen neuen Freundeskreis fand ich schnell und damit Gefallen an den üblichen Biergärten im Sommer und dem Schwimmbad und der Sauna in der BMW-Schwimmhalle in Dingolfing im Winter. Ich machte eine Dolomitenwanderung mit einem Freund aus Würzburg und kleidete mich so modisch wie nie zuvor oder danach. In diesem Geiste verbrachte ich die beiden Silvester in Rom mit einem dort sehr kundigen Kollegen im Gästehaus der Pallottinerinnen, nur einen Steinwurf entfernt vom Petersdom. Nach dem zweiten Staatsexamen lehnte ich den Versuch des Einstiegs in diese Karriere am Gymnasium Tegernsee ab, in weiser Voraussicht, denn ich zog mir beim letzten Lehrersport einen Achillessehnenriss zu, der zunächst nicht erkannt wurde. So fuhr ich bei -15°C nach Hause und bemerkte die Verletzung erst nach über einer Woche. OP, eine Woche Krankenhaus und sechs Wochen im Gips führten dazu, dass ich mein kleines Zimmer in einem Internat am Westpark in München erst im April beziehen konnte und mich für zwei Monate arbeitslos melden musste (die einzigen in meinem Leben).

Allerdings hatte ich dadurch zwei Monate fürs Kennenlernen der neuen Stadt, denn ich hatte neben meiner studentischen Hilfskraftstelle die Muße, wie bei meinem Forschungsaufenthalt in Paris fünf Jahre zuvor ca. 25 km quer durch die Stadt zu laufen, um dann mit der U-Bahn zurück zu fahren. Dann bekam ich eine halbe Mitarbeiterstelle an der TU Braunschweig zur Erforschung der Vorgeschichte der TU im 18. Jahrhundert. In diesem halben Jahr des Umschwungs hatte ich Zimmer an drei Orten. Außerdem entstand in diesen drei Jahren im Rahmen der Arbeit von Steig e.V. zusammen mit Hans Michael Baumgartner das Buch: Am Ende der Neuzeit? Die Forderung eines fundamentalen Wertwandels und ihre Probleme (1985). Viele der Texte entstanden aus interdisziplinären Projektgruppen innerhalb des Vereins und durch Kooperationen. Ich war damals davon überzeugt, dass wir am Anfang einer neuen, dieses Mal jedoch nicht nur europäischen Renaissance von Wissenschaft, Technologie und Zivilisation im Weltmaßstab stehen. Die Zusammenarbeit mit dem Kantianer Hans Michael Baumgartner erwuchs aus der gemeinsamen Diskussion mit Gerhard Vollmer in Gießen über evolutionäre Erkenntnistheorie, ein zweiter Einstieg in die Philosophie neben dem Thema Wissenschaft in der Aufklärung. In dieser Phase entwickelten sich Kooperationen und Freundschaften mit zwei älteren Kollegen im Umfeld der Technikphilosophie: Walther Zimmerli an der TU Braunschweig und dann in Bamberg und Hans Lenk an der TH Karlsruhe.

Eigentlich hatte ich mich bei Johannes Gründel um eine Promotionsbetreuung für eine Arbeit zur ethischen Bewertung der Gentechnik noch von Landshut aus beworben. Zum Hintergrund dieser Geschichte: Ende der 70er Jahre war ein Dozent in Würzburg, bei dem ich antike Philosophie (Platon und Aristoteles) studiert hatte, zum Philosophieprofessor in Passau ernannt worden. Die ihm versprochene Assistentenstelle sollte ich bekommen, aber zuvor in Würzburg promovieren. Daher rührt auch das für Alfred Schöpf doch sehr ungewöhnliche Thema der Dissertation. (Nur nebenbei bemerkt: in seinem letzten Gespräch mit mir vor seinem Tod beichtete er mir, dass er sich in meiner Leibphilosophie und Hermeneutik philosophisch viel eher wiedererkennt als in den Arbeiten seiner früheren Doktoranden). Nach langen Querelen um die Stelle in Passau war mir der 31. Dezember 1982 als Datum gesetzt worden. Unter dem extremen (heilsamen) Druck war mein Rigorosum am 27. November, allerdings wurde ich am 24. Dezember informiert, dass die Stelle wiederum nicht zum Jahresbeginn eingerichtet werden konnte. Glücklicherweise hatte ich mich um ein Referendariat zur Fortsetzung meiner Ausbildung Lehramt Gymnasien beworben und durfte in Landshut beginnen. Von dort aus konnte ich sogar mein Promotionsstudium in Theologie in Passau anfangen, jetzt allerdings mit dem Ziel, zu einem von Steig e.V. inspirierten Thema ethischer Art eine Dissertation anzufertigen.

Und noch besser – mein Zweigschuleinsatz war an einem Gymnasium nur 25 km südlich von Passau. Denn zum 01. Juli 1983 wurde die Stelle geschaffen, zur einen Hälfte für die Philosophie, zur anderen Hälfte für die Moraltheologie. Ich hätte mein Referendariat abbrechen können und sollen. Aber die neue Erfahrung, die pädagogische Ausbildung, das Arbeiten mit Kindern, neue Freunde und die Lust an einem extrovertierteren Lebensstil führten zu dem Ergebnis, dass ich einen sehr guten Freund mit gleicher akademischer Doppelqualifikation, letztlich aber mit Schwerpunkt in der Moraltheologie, zunächst als Vertretung vorschlug. Er trat die Stelle in Passau an und ich war seit dem Sommersemester 1983 (Promotions-)Student und auch für Philosophie eingeschrieben. So lernte ich in diesem Jahr die Feinheiten der philosophischen Fakultät in Passau kennen. Nach einer Veranstaltung über Heideggers Seminare in Le Thor war mir klar: dieser Art von Philosophie und Moraltheologie konnte ich als Assistent nicht zur Verfügung stehen. Aber ich hatte eine Alternative: Johannes Gründel hatte mich als Doktoranden angenommen und sogar langfristig eine Mitarbeit auf einer Forschungs-Assistentenstelle für theologische Ethik in Aussicht gestellt.

Am 01. Januar 1986 trat ich bestens vorbereitet für meine Stelle als Forschungsassistent (erneut eine Beamtenstelle auf Zeit) am Institut für Moraltheologie und christliche Sozialethik an. Meine Aufgabe dort bestand in der Weiterentwicklung des Ansatzes einer autonomen Moral und einer Ethik für interdisziplinäre Forschung, zunächst im Bereich der Medizin und der Verhaltensforschung. In der Anfangszeit in München arbeitete ich für das Feuilleton der FAZ und der Süddeutschen Zeitung sowie für die KNA (Katholische Nachrichtenagentur) und sechs Semesterwochenstunden an der Volkshochschule München. Dort hielt ich einen wöchentlichen Kurs zur Philosophiegeschichte von der Vorsokratik bis ins 20. Jahrhundert im Münchner Norden und zwei Wochenendseminare zu Themen wie dem kritischen Rationalismus und der evolutionären Erkenntnistheorie, zur altindischen Philosophie, aber auch dem Übergangsfeld zwischen Philosophie und Literatur. Im Frühjahr 1986 leistete ich mir meinen ersten Computer. Angewandte Ethik wurde stark nachgefragt. Einladungen zu Podiumsdiskussionen, Vorträgen und Interviews erfolgten angesichts gesellschaftlich relevanter Themen wie Aids, Abtreibung, Gentechnik und Umweltproblemen im kirchlichen und im politischen Bereich (CSU) in großer Zahl. Es war nicht immer leicht, in diesen Veranstaltungen eine konsequent liberale Position zu vertreten, aber dringend erforderlich, denn Aids galt als Strafe Gottes und als Krankheit der Homosexuellen, die man am besten auszugrenzen hatte. Und Angebote zur Veröffentlichung waren keine Mangelware. Schnell zahlte sich der Computer aus, und ich hatte eine ansehnliche Publikationsliste vorzuweisen bei allen Bewerbungen.

Die Zusammenarbeit und die gemeinsame Durchführung von Haupt- und Oberseminaren meist interdisziplinärer Prägung und zum Wegecharakter einer christlichen Ethik mit Johannes Gründel im Sinne der Gewissensfreiheit und Verantwortungsübernahme haben mich geprägt und ihren deutlichen Niederschlag in meiner hermeneutischen Ethik gefunden. Eigene Veranstaltungen hatte ich mit den Einführungen in die theologische Ethik I und II für Berufsschullehrer an der TU München im Sinne eines Lehrexportes, sowie ein Seminar gemeinsam mit Christian Schröer zur Handlungstheorie und Ethik bei Thomas von Aquin. Zum Schluss meiner Lehrtätigkeit am Lehrstuhl bot ich ein sehr interessantes Seminar zu Psychiatrie und Ethik zusammen mit Ärzten aus dem Bezirkskrankenhaus Haar an. Außerdem hatten wir die Doktorandenbetreuung inhaltlich zu begleiten und Unmengen von Prüfungsbeisitz für Diplomtheologen und Lehramtskandidaten. In meinem Promotionsstudium hatte ich schon Religionssoziologie mit einem Hauptseminar-Schein an der Universität Passau abgehakt, nun waren ein Hauptseminar-Schein in Religionspädagogik und das Hebraikum zu erbringen. In meinem Philosophiestudium beschäftigte ich mich bei Mitarbeitern des Grabmann-Instituts mit scholastischer Philosophie und Occam, besuchte Vorlesungen bei Spaemann, die beiden Hauptseminare von Dieter Henrich zur transzendentalen Deduktion bei Kant sowie bei Wolfgang Stegmüller zum Themenbereich David Hume und Induktion. Mit den beiden Gastprofessoren in dieser Zeit, Hillary Putnam und Paul Ricoeur, durfte ich über den Besuch ihrer Veranstaltungen hinaus aufgrund meiner Artikel in der Süddeutschen Zeitung mehr als zwei Stunden persönlich diskutieren.

Mit Christian Schröer und Matthias Kunz buchstabierte ich regelmäßig zwischen 1986 und 1988 in abendlichen Veranstaltungen nach gemeinsamem Essen und bei einigen Gläsern Frankenwein zunächst Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und übersetzten anschließend die in der katholischen Moraltheologie – anders als der überaus häufig zitierte Lex-Traktat – eher vernachlässigte, handlungstheoretisch begründete Ethik von Thomas von Aquin in der Prima Secundae der Summa Theologiae. Diese Ethik enthält sechs Grundcharakteristika zur Bewertung von Handlungen – darunter Situation, Mittel und Handlungsfolgen – im Gegensatz zu den üblichen Ein-Prinzipien-Ethiken der Neuzeit und ist in den Ansatz meiner hermeneutischen Ethik eingegangen. Meine hermeneutische Ethik hat in ihrer Grundstruktur starke Ähnlichkeiten zur hermeneutischen Logik von Hans Lipps und wurde 1996 vor der Akademie der Wissenschaften in Buenos Aires und anlässlich meiner Habilitation in Bamberg erstmals vorgestellt. Die früheste Veröffentlichung zu diesem Thema (1998) enthält eine Kurzcharakteristik des Texts von Thomas von Aquin, die zweite von 2007 wurde 2008 ins Japanische übersetzt. Eine Kompilation beider Arbeiten einschließlich einer Anwendung auf die neoklassische Globalisierung von 2015 wird seit 2019 ins Englische übersetzt.

Thomas entwickelt in der von uns gemeinsam übersetzten Passage die erste aus heutiger Sicht verantwortungsethisch zu nennende Ethik-Konzeption und setzt dabei implizit die These von einer autonomen Moral in der theologischen Ethik voraus, da er an Aristoteles anknüpft und Abaelards Gewissensethik voraussetzt. Dies entspricht nicht dem traditionellen Bild des großen mittelalterlichen Lehrers, denn hier Thomas gilt als Naturrechtsethiker. In seinem "Lex"-Traktat der "Summa theologiae" doziert er die Grundlagen einer traditionellen Naturrechtskonzeption und fundiert diese biblisch. Dieser Teil der Ethik-Konzeption von Thomas ist mehrfach ins Deutsche übersetzt und gut kommentiert. Die ausführliche Darstellung seiner verantwortungsethischen Konzeption in der "Prima Secundae", Kap. 6 bis 21 jedoch ist kaum bekannt, nicht zuletzt deshalb, weil eine vollständige Übersetzung ins Deutsche ebensowenig vorliegt wie eine adäquate Kommentierung. So ist die Grundausrichtung meiner hermeneutischen Ethik aristotelisch, allerdings sehr stark auf das 21. Jahrhundert zugespitzt.

Dass meine theologische Dissertation „Anthropozentrik und christliche Umweltethik. Ein Beitrag zur ökologisch orientierten theologischen Ethik“ mit Rigorosum am 27. Februar 1991 an der Universität Würzburg stattfand, war ausschließlich prüfungsrechtlichen Gründen zuzuschreiben. Dort konnte man auch ohne vorangegangenes Lizenziat in Theologie promovieren, allerdings musste der mündliche Teil der Prüfung in fünf Teildisziplinen erfolgen, damit jedes Teilgebiet der Theologie mit einer eigenen Prüfung abgeschlossen werden konnte. Trotz der erschwerten Bedingungen erzielte ich ein Ergebnis, das nicht getoppt werden kann. Der Geist der Dissertation entstammte zum einen dem liberalen Katholizismus, den das Cusanuswerk als bischöfliche Studienförderung oft gegen stark konservative Tendenzen in der katholischen Kirche verteidigt hat, und der mit Steig e.V. eine entsprechende ökologische Ausrichtung bekam. Zum anderen der menschlich-liberalen Grundhaltung meines Münchner Chefs Johannes Gründel und seines sozialethischen Kollegen Wilhelm Korff, mit dem man über Steig-Themen (wie z.B. die Energiefrage) oder über Probleme der Wirtschaft (vor allem in der zweiten Hälfte meiner Tätigkeiten in München, nicht zuletzt wegen meiner Mitarbeit in der AG Businessethik der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in München).

Neben der eigenständigen Lehre, die vor allem als Lehrexport für Berufsschullehrer an der TU München und an der Volkshochschule stattfanden, begleitete ich die Forschungsseminare von Johannes Gründel in vielen interdisziplinären Seminaren, aber auch zu einer forschenden theologischen Ethik selbst. Dies umfasste den Wegecharakter einer christlichen Ethik im Sinne der These der autonomen Moral als philosophischer Argumentation und Interpretation mit einem jesuanisch orientierten Rahmen gemäß dem Vorbild des Apostel Paulus, inspiriert von John Henry Kardinal Newman und eigentlich der gesamten Dogmengeschichte. Zu den weiteren Aufgaben gehörte die Doktorandenbetreuung. Da ich im Aufbau der Struktur von Steig e.V. deutliche Akzente gesetzt habe, verlagerte sich der Schwerpunkt des Vereins auch von Würzburg nach München. Jedenfalls fand ich in einem christlich motivierten und liberal orientierten ökosozialen Denken eine echte Alternative zur Wissenschafts- und Technologiegegnerschaft der Grünen mit ihrem Hintergrund aus der Anti-Atomkraft-Bewegung und dem Pazifismus (die ich bei meiner Arbeit am Genzentrum in München und vor allem in Brüssel zu spüren bekam).

Die Zeit in München war bombastisch. Nach einem kleinen Zimmer in einem Internat am Westpark und einem Studentenapartment in Berg am Laim ziemlich im Osten der Stadt ergatterte ich eine Dreizimmerwohnung in der Schelling-/Ecke Türkenstraße in der Maxvorstadt. Sie lag direkt zwischen dem Hauptgebäude der LMU und dem alten Zentrum der TU München, ganz in der Nähe von der Neuen und der Alten Pinakothek, 15 Gehminuten entfernt von der Kaufingerstraße und der Oper. Wir reisten viel nach Oberitalien über häufige Brückentage und bis hinunter in den Stiefel, wenn wir mehr Zeit hatten. Ich war schon als Student häufig in der Toskana auf den Spuren der Etrusker unterwegs gewesen, nun kamen andere Gebiete dran. An der Westküste kamen wir bis Paestum und Velia (dem alten Elea), an der Ostküste bis Brindisi und verbrachten auch zwei Wochen am Sporn. Im Rahmen meiner Verheiratung zogen wir im Übergang 1988/89 in eine kleine Fünfzimmerwohnung zwischen dem Olympia- und dem Luitpoldpark. Ein Tiefgaragenplatz bewahrte uns vor der Parkplatzsuche, dem größten Problem der Maxvorstadt.

Aufgrund meiner interdisziplinären Seminare zu bioethischen und biophilosophischen Fragen der Gentechnik am Genzentrum in München (Leitung Ernst Ludwig Winnacker zu dieser Zeit) mit Dr. Domdey und Dr. Weiß (Humangenetik) und von 1992 bis zum Frühjahr 1994 als Lehrbeauftragter weitergeführt, wurde ich als Nachfolger von Franz Böckle Leiter von ELSA (Ethical Legal Social Aspects des europäischen Humangenomprojekts) in Brüssel für die Jahre 1989/90 ernannt. Die ELSA-Sitzungen fanden jeweils montags zwischen 10 und 17 Uhr statt, mit zusätzlichem Hin- und Rückflug von München aus. Das so entstandene, heiß umkämpfte ethische Rahmenwerk ist richtungsweisend für die europäische Forschungspolitik geworden. Angeregt durch die Arbeit im Steig e.V. begann 1987 mit dem Besuch eines Forschungslabors zur Spracherkennung bei Siemens in Neuperlach/München die Beschäftigung mit KI. So entstand mit Karin Donhauser und Jörg Klawitter die Zeitschriften- bzw. Buchreihe Forum für Interdisziplinäre Forschung (FIF) mit Ausgaben wie I/1988 Künstliche Intelligenz, II/1988 Schlüsseltechnologien und innere Sicherheit oder I/1989 Risiko Gentechnologie? Weitere interessante Ausgaben behandelten etwa I/1990 Wirtschaftspolitik - Testfall Klima, II/1990 Ökologie und Dritte Welt. Heiße Themen waren auch I/1991 Forschungsstrategien - Tierversuche und Tiermodelle, II/1991 Solarenergie, und I/1992 Vernunft als mentaler Prozess. Auch der Gegenstand der Ausgaben nach neuer Zählung NZ 10 Krankenhauspsychiatrie - ethische Probleme? war kontrovers. Die Wirkung schon der ersten Nummer war beachtlich und führte ein Jahr später zu einer Tagung der evangelischen Akademie Tutzing zum gleichen Thema unter der Leitung von Jörg Klawitter und mir. Die Strategie war einfach: Steig e.V. bot die fachliche, inhaltliche und organisatorische Vorbereitung und Durchführung an, die Akademie kümmerte sich um den Rest. Das Thema KI war übrigens eher die Ausnahme, normalerweise betreuten wir Fragen, die mit dem Umweltthema verbunden waren. Der Verein wurde gelegentlich als wissenschaftliche Bürgerinitiative verstanden und war sehr erfolgreich bis zur Wende von 1989. Dann ließ das Interesse an unserem Thema deutlich nach und Steig e.V. kümmerte sich mehr um die innerkirchliche ökologische Transformation des Katholizismus, bis hin zu einer zehnjährigen Beratungstätigkeit der deutschen Bischofskonferenz in ökologischen Fragen.

Den 09. November 1989 erlebte ich im Schneeregen mit Christian Schröer auf dem Münchner Königsplatz während der Vorbereitung einer Installation eines befreundeten Münchner Bildhauers zum Gedenken an das KZ Dachau. Einen ersten Eindruck der Wende bekam ich auf der Bahnfahrt zwischen einem Vortrag an der FU Berlin (29. Januar 1990) zu Grundlagen der Wirtschaftsethik und der Universität Göttingen (30. Januar 1990) zu Leitlinien eines verantwortbaren Umgangs mit Gentechnik, sowie der Rückfahrt am 31. Januar nach München. Anfang April schoben meine Frau und ich einen Kurzurlaub in Berlin ein, um Veranstaltungen an allen drei Opernhäusern zu besuchen und vor allem die Museumsinsel zu erkunden. Die Abende verbrachten wir in der Gegend um den Gendarmenmarkt. Ich war aufgrund von naher Verwandtschaft seit 1964 relativ oft in West-Berlin, vor der Wende auch dreimal im Ostteil der Stadt. Die Wiederbelebung dieser Stadt habe ich miterlebt, zum einen durch meine Kooperationen mit dem VDI, Acatech und dem BMBF sowie einer Reihe von Einzelveranstaltungen, aber auch weil wir nach 2003 (da wurden unsere Kinder zehn Jahre alt) regelmäßig zweimal im Jahr eine Kulturwoche in den Städten München, Berlin oder Hamburg verbrachten.

Das nächste Übergangsfeld umfasste noch einmal drei Jahre, obwohl mein Beschäftigungsverhältnis an der Universität/Gesamthochschule Siegen nur gut eineinhalb Jahre währte. Denn wir wohnten drei Jahre, von Januar 1992 bis März 1995, in einer 135 m² großen Dachwohnung (Erstbezug) in Netphen (bei Siegen). Im fünften Stock genossen wir einen weiten Blick über das Siegerland mit Hauberg und einem Stausee. Die Wände waren nur seitlich abgewinkelt, im großen mittleren Bereich hatten wir ein Flachdach mit Oberlichtern im Gang, Nebengang und über dem Essplatz. Die Gänge waren auf beiden Seiten mit Bücherregalen vollgestellt, da im Arbeitszimmer nur eine Wand dafür zur Verfügung stand. Und mit dem Oberlicht am Rande des Wohnzimmers konnte man bei Festen dort auch rauchen. Das Haus stand an einem Steilhang, sodass der Eingang auf Höhe der Tiefgarage lag. Auf der anderen Seite führte eine Brücke zwischen dem dritten und vierten Stock auf den Wendeplatz hinter dem Haus, nach 50 Metern erstreckte sich dort der Wald.

Vom Wintersemester 1991/92 bis zum Wintersemester 1993/94 hielt ich als Lehrbeauftragter des Genzentrums München mein schon angeführtes Seminar zu Grundproblemen der Gentechnologie in ethisch-theologischer Bewertung zusammen mit Dr. Domdey (Genzentrum Martinsried), Dr. Kessler (Boehringer) und Prof. Dr. Weiß (Humangenetik). An der Universität Siegen hielt ich zunächst als Lehrbeauftragter im Wintersemester 1991/92 eine Einführung in die theologische Ethik I, danach Theologische Ethik II: Fragen des Lebensschutzes und der christlichen Umweltethik, Theologische Ethik III: Lebensschutz, Ehe und Familie, Theologische Ethik IV: Grundprinzipien der Sozialethik. Hinzu kamen eine philosophische Einführung in die Theologie: Antike, eine philosophische Einführung in die Theologie: Mittelalter, sowie zu Psychoanalyse und Moraltheologie. Weiterhin hielt ich ein Seminar zu Eugen Drewermanns Anfrage an die Moraltheologie und eines zu Friedrich Nietzsches Christentumkritik. Beide Seminare waren Zusammenarbeiten mit Jürgen Werbick. Im Wintersemester 1993/94 thematisierte ich neben meinen Veranstaltungen an der TU Dresden als Lehrbeauftragter der Uni München und des Genzentrums die traditionellen Grundprobleme der Gentechnologie und als Lehrbeauftragter der Universität Siegen die Theologische Ethik I: Grundlegungsfragen einer theologischen Ethik. Neben den Veranstaltungen im Sommersemester 1994 an der TU Dresden hielt ich als Lehrbeauftragter der Universität Siegen die Theologische Ethik II: Der Schutz von Leib und Leben: Grundfragen der medizinischen Ethik. Hinzu kamen jeweils eine oder zwei Wochenendveranstaltungen an der VHS München. In der Zeit vom Wintersemester 1991/92 bis zum Sommersemester 1993 lehrte ich an zwei Orten: Siegen und München, und vom Wintersemester 1993/94 bis zum Sommersemester 1994 an drei: Dresden, Siegen und München. In Dresden war ich als Professor, in Siegen als Lehrbeauftragter und in München als Lehrbeauftragter des Genzentrums und als Dozent an der Volkshochschule tätig.

Mit einer eigenen studentischen Hilfskraft war ich sehr gut ausgestattet und benötigte für die Lehre eigentlich nur zwei Tage in der Woche. Darüber hinaus hatte ich Zeit, das gesammelte interdisziplinäre Material aus meiner Münchner Zeit systematisch zu verdichten und in drei Bücher umzusetzen: einen Grundriss der medizinischen Ethik, die erste Auflage des Lehrbuchs zur evolutionären Erkenntnistheorie und meiner Forschungsethik Gentechnik und Biotechnologie im nichtmenschlichen Bereich, die ich im Februar 1994 einreichte. Sie konnte aber erst nach Beendigung des Verfahrens im Sommer 1996 im darauffolgenden Jahr publiziert werden. Schon meine ersten, in der Regel durch akademische Zwänge mitgeformten, Bücher zeigten einen eigentümlichen Denkstil, in dem philosophisch-ethische Forschung und ihre Überführung in problemgeschichtliche Theorie in Gestalt meines Versuches, die bei Kant noch getrennten Ebenen von Genesis und Geltung, von Empirie und Philosophie im Hinblick auf konkrete Fragestellungen (höchst aktueller Art) miteinander zur Konvergenz zu bringen. In meiner philosophischen Dissertation entwickelte ich eine Modellhermeneutik von Forschung für das 18. Jahrhundert als skeptisch-zetetische Methode des Suchens und Findens durch permanente Kritik von Vorurteilen. Für die Umweltethik erarbeitete ich den Gedanken einer methodischen Anthropozentrik, in der Verantwortungsübernahme für sich und andere der Kern einer autonomen Moral ist, und die den Kantischen Ansatz durch Leiblichkeit und den handlungstheoretischen Ansatz eines Thomas von Aquin zu konkretisieren in der Lage ist. Zudem suchte ich nach einer Metatheorie zur evolutionären Erkenntnistheorie, die darauf hinwies, dass es nicht ausreicht, nur bestimmte philosophische Richtungen wie Induktion, Deduktion oder kritischen Rationalismus zu naturalisieren, sondern dass man beim Evolutionsbegriff und seinen zentralen Komponenten wie z.B. dem der kognitiven Anpassung mit einer neuen metaepistemologischen Modell- und Begriffsbildung anzusetzen hätte. Und für die Forschungsethik Gentechnik und neue Biotechnologie zeigte ich auf, dass eine bereichsspezifische epistemologische Meta-Theoriebildung Voraussetzung für anwendungsorientierte Ethik ist. Mit dieser Basis blieb ich ziemlich resistent gegen die weit um sich greifende Soziologisierung von Wissenschaft und Technik und deren Folge einer Ausrichtung auf einen medial orientierten Kulturalismus, der im Hinblick auf neuere Tendenzen einer datenzentrierten Wissenschaft viel zu kurz greift.

Im Frühsommer 1992 hielt ich drei Mal drei Seminartage zur Einführung in die Ethik für angehende Ethiklehrer in Thüringen, jeweils von 9 bis 17 Uhr. Die Gruppengrößen lagen zwischen 50 und 70 Teilnehmern. Ein Zentrum der Lehre war in der Gegend um Erfurt, ein zweites um Jena und ein drittes lag im hinteren Teil von Schmölln, Altenburg und Zeulenroda, abenteuerliche Orte in Turnhallen oder halben Ruinen, oft kaum zu finden, wie auch die Unterkünfte. Unterstützt wurde ich bei den Fahrten durch meine Frau und der Leiterin des Schulamtes für Thüringen, die sich mit Trabbi und ihrer Oma auf dem Beifahrersitz um das Finden der gerade umbenannten Gymnasien bemühte. Meine Frau, studierte Kunstgeschichtlerin, war begeistert von den verwunschenen Schätzen in halbverfallenen Museen, Kirchen und Opernhäusern in Gotha, Meiningen, Schmölln und Altenburg, die sie während meiner Veranstaltungen besuchen konnte. Die Dame vom Schulamt wies mich darauf hin, dass an der TU Dresden eine philosophische Fakultät aufgebaut würde, die Leute wie mich dringend bräuchte und ich sollte mich unbedingt bewerben.

In Zusammenarbeit mit dem Institut für christliche Sozialethik der Universität Würzburg (in der ersten Zeit organisatorische Anlaufstelle von Steig e.V.), dem Oswald von Nell-Breuning-Institut für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen/Frankfurt und der katholischen Akademie Wiesbaden-Naurod erfolgte in dieser Zeit der Aufbau eines Kooperationsnetzes zu Fragen von Ökologie und Dritter Welt, des interreligiösen Gesprächs zur Wahrnehmung von Schöpfungsverantwortung und letztlich der Internationalisierung der Thematik von Steig e.V. 1993 lernte ich mit Nestor Corona einen Freund von Jürgen Werbick kennen, Professor an der Katholischen Universität von Buenos Aires, mit dem uns nun seit fast dreißig Jahren eine enge Freundschaft und viel gemeinsame Arbeit verbindet. Er hat mehr als zwei Jahre in unserem Haus gelebt. Ein weiterer Kollege aus Südkorea, Herr Hwang, wurde von mir über das duale System im Siegerland informiert und eröffnete mir die Welt des Feng shui und Pung‘Su, seiner koreanischen Variante, welche auch die japanische Gartenkunst beeinflusst hat. Die ersten fünf Jahre meines Einsatzes für ökosoziale Modernisierung und Fragen der Forschungsethik für Biotechnologie, Biomedizin und KI wurden in München und Siegen erarbeitet. Zweimal war ich für insgesamt einen Monat in Indonesien, zweimal für insgesamt vier Monate in Argentinien, Chile und Bolivien, und einmal für eine Woche in Südkorea.

Beim Zukunftskongress im Frühjahr 1991 zu Kultur und Technik im 21. Jahrhundert in Essen war ich als Experte für KI eingeladen, zusammen mit den Herren Hans Moravec, Vilhelm Flusser und Klaus Mainzer, obwohl ich als Experte im Bereich Biotechnologie weit mehr Erfahrung vorzuweisen hatte. Vor allem beschäftigte ich mich mit der Kritik der Gebrüder Dreyfus an der starken, symbolischen KI und den Expertensystemen und versuchte, diese Position weiterzuentwickeln. Am Genzentrum in München hatte ich die Entwicklung der Bioingenieurkunst untersucht und auch in der KI sah ich eher eine Technologie. Nachhaltigkeit war für mich ohne ihren technologisch-ökonomischen Kontext nicht zu realisieren. Zudem betrachtete ich Ethik nicht so fundamental und aus der Metaperspektive wie es damals in der Philosophie noch üblich gewesen ist. Aufgrund meiner Erfahrungen in Thüringen bewarb ich mich im Herbst des Jahres um zwei Professuren an der neu zu gründenden philosophischen Fakultät der TU Dresden: um die Didaktikprofessur in Philosophie, aufgrund meiner Erfahrungen im Gymnasium, und um die Professur für Technikphilosophie, obwohl mir klar war, dass ich dafür kein klassischer Kandidat war. Aber meine Freunde Walther Zimmerli und Hans Lenk machten ja wohl so etwas wie Technikphilosophie, nämlich Philosophie an einer technischen Universität. Beide waren allerdings nicht in eine philosophische Fakultät eingebunden. Und durch meine Arbeit am Genzentrum in München hatte ich hautnah erfahren, wie sehr heute naturwissenschaftliche Forschung in Technologie eingebunden ist und umgekehrt.

Zunächst war die Rückkehr in die philosophische Fakultät kaum mehr als ein Traum.

Daher bewarb ich mich um die C4-Professur für Christliche Sozialethik an der Universität München mit einem Vortrag am 25. Januar 1993 zum Thema Natur und Technik als Thema einer christlichen Sozialethik und wurde zum Erstplatzierten in der Berufungsliste der Fakultät, hinter mir drei eher traditionelle Sozialethiker mit Professorentitel. Meine Akzentuierung war durch den Vorgänger durchaus vorbereitet. Er hatte in Energiefragen mit Siemens lange zusammengearbeitet und sich der Arbeit von Steig e.V. geöffnet. Dass der Münchner Kardinal (ein Freund des späteren deutschen Papstes) die Liste kassierte und einen wissenschaftlich eher nicht profilierten und innerkirchlich orientierten Kandidaten bevorzugte, war symptomatisch für die folgende Entwicklung der Kirche und führte dazu, dass gerade wertorientierte und sehr traditionsbewusste Christen zur Marginalisierung des Christentums in Europa beitrugen. Parallel zu dieser Erfahrung veröffentlichte Papst Johannes Paul II. am 06. August 1993 eine Enzyklika mit seiner Verurteilung der „autonomen Moral“ (Veritatis splendor, „der Glanz der Wahrheit“). Sie trägt den Untertitel: „An alle Bischöfe der Katholischen Kirche – über einige grundlegende Fragen der kirchlichen Morallehre“. Die päpstliche Kritik hatte den eigentlichen Ansatz des Denkstils dieser theologischen Art von Autonomie nicht richtig erfasst, denn wie ich in meiner Dissertation zur christlichen Anthropozentrik nachgewiesen hatte, ist in diesem Kontext Autonomie nicht ohne theonome Einbettung denkbar. Da hilft auch das Zitieren einiger dekontextualisierter Bibelstellen und päpstliche Autorität nicht weiter.

Schon vorher hatte ich mich für weitere philosophische Professuren beworben, so z.B. für eine im Umfeld von evolutionärer Erkenntnistheorie in Tübingen und für Technikphilosophie in Magdeburg. An der Universität Tübingen hielt ich den entsprechenden Vortrag am 07. Juni 1993 zum Thema: Der wissenschaftliche Tierversuch - ethische Überlegungen. Auch nach Magdeburg war ich eingeladen. Zwei Tage vor meinem Vortrag in Tübingen erreichte mich der Ruf nach Dresden und die Entscheidung für den ganz anderen Weg war gefallen, bevor ich dorthin fuhr. Magdeburg habe ich abgesagt. Außerdem wurde in diesem Jahr die Professur für christliche Soziallehre an der Universität Würzburg plötzlich vakant. Ich kannte Herrn Dreier, dem ich nachfolgen sollte, von der Vorstandsarbeit im Steig e.V. und meinem Rigorosum, war für den Schwerpunkt Ökologie und Dritte Welt eigentlich gut vorbereitet und war der Wunschkandidat der Fakultät (aber das war ich kurz zuvor in München auch). Zwar war Würzburg ein wenig weiter weg von Rom als München, aber Dresden nahezu unendlich weit. Dort konnte meine Frau, eine Lutheranerin, ohne jedes Problem die Eucharistie empfangen, was in München höchstens in Sankt Bonifaz möglich war. Außerdem reizte mich die größere Nähe zu einer neuen Form der Verschränkung von Wissenschaft und Technologie, wie ich sie im Rahmen der Bioingenieurkunst am Genzentrum in München kennengelernt hatte. Neue Aufgabengebiete in der ehemaligen DDR eröffneten mehr als eine Rückkehr in die eigene Vergangenheit. Doch mit einer Industrieeinbettung war es in Dresden zunächst eher schlecht bestellt. Zunächst vertrat ich mich im ersten Semester selbst, nicht, weil ich mich in Würzburg bewerben wollte, sondern damit ich mein Habilitationsverfahren in Bamberg einleiten konnte. Meine Habilitationsschrift war Ende 1993 fertig, und in Bayern wurden Professoren damals nicht habilitiert. Mir war die Habilitation wichtig, da ich meine Assistentenzeit in der Theologie verbracht hatte und obwohl ich 1993 in zwei Fakultäten auch ohne Habilitation professorabel war, einem in der Philosophie angesichts des Überangebotes an Habilitierten eher seltenen Fall. Der Antrag auf Habilitation wurde übrigens im Frankfurter Flughafen im Februar 1994 eingeworfen. Wir waren auf dem Weg nach Indien, um unsere in Indien adoptierten, 10 Monate alten Kinder abzuholen.

1993 waren wir einen Monat in Südafrika und einen Monat in Südafrika/Namibia. Den Aufenthalt in Namibia mussten wir etwas kürzen, um rechtzeitig zum Dienstantritt in Dresden zu erscheinen. Und schon am ersten Tag offenbarte sich das Dilemma der neuen Stelle: ich sollte die Lehrerausbildung organisieren, wobei die Professur für Didaktik ein Kollege bekommen hatte und nicht ich. In meiner Berufungsurkunde stand nichts von Lehrerausbildung, sondern von angewandter Ethik in der technischen Praxis, von interdisziplinärer Forschung und Kooperation mit anderen Fakultäten. Und es war, wie ich später erfuhr, auch eine bewusste Entscheidung der Berufungskommission gegen meine Bewerbung um die Didaktik-Stelle, bei der ich auch in die engere Wahl gekommen war. Die Entscheidung war begründet durch meine Erfahrung mit der Organisation interdisziplinärer Forschung, in einer dezidierten Ausrichtung an Medizin-, Umwelt- und Wirtschaftsethik, sowie durch meine konkrete Erfahrung im Umgang mit Industrie im Genzentrum. Wichtig für eine neue Technikphilosophie waren auch mein Interesse für das Inter- und Transkulturelle im Kontext von Innovation, Technologietransfer und Konsum (von Ressourcen) im wachsenden Globalisierungsstrudel. All diese Kompetenzen und Fähigkeiten ließen sich besser in einer modernen Technikphilosophie verwerten und realisieren. Sie waren nicht einfach auf (Ethik-)Lehrerausbildung zu reduzieren, sondern mussten mit und in anderen Fakultäten betrieben werden. All meine ethischen Bücher waren für Praktiker bzw. Anwender in bestimmten Bereichen bestimmt und keineswegs an der Didaktik ausgerichtet, die man bei der Erziehung für das Lehramt braucht. Und letztlich waren sogar meine Werke zur hermeneutischen Ethik nicht für die Lehrerausbildung gedacht, sondern für die Praktiker der Theorie, epistemologisch ausgerichtete Philosophen.

Am Anfang war die Studentenzahl gering und es gab so gut wie noch kein Publikum für die Technikphilosophie. In diesem Sinn war eine Beteiligung an der Lehrerausbildung zunächst auch gar kein Problem. Im Wintersemester 1993/94 fiel die Vorlesung Einführung in die Technikphilosophie mangels Beteiligung aus, das Seminar Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten wurde im Rahmen der Lehrerausbildung auf den Samstag verlegt, damit es von angestellten Lehrern auch nebenberuflich besucht werden konnte. Danach schaffte ich es gerade noch zum Bahnhof und war abends gegen 23 Uhr in Siegen zurück. Das Proseminar zu Martin Heideggers Technikinterpretation besuchten nur Nichtphilosophen. Und die Vorlesung Natur und Technik: Einführung in die Umweltethik fand vom Wintersemester 1994/95 bis Mitte des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrhunderts in großen Hörsälen des alten TU-Geländes vor Ingenieuren insbesondere der Umwelttechnologie, aber auch von Maschinenbau und Energietechnik statt. Sie hieß ab dem Wintersemester 1995/96 Umweltethik. Außerdem begann ich mit der Entwicklung eines eigenen Ansatzes in der Technikphilosophie, vorgestellt in einer weiteren Vorlesung in diesem Semester mit dem Titel: Technikhermeneutik: Methodologieprobleme der Technikphilosophie. Im Sommersemester 1996 begann das Forschungsseminar des Zentrums für Interdisziplinäre Technikforschung. Im Wintersemester 1996/97 erprobte ich eine neue Form der Interpretation von Heideggers Technikphilosophie, ein Proseminar mit Nestor Corona, Universität Buenos Aires. Im Sommersemester 1997 begann mit dem Hauptseminar Epochenwende 1760-1830: Aufklärungsphilosophie und industrielle Revolution: Großbritannien, welches ich zusammen mit Prof. Hänseroth aus der Technikgeschichte hielt, eine neue Form der Zusammenarbeit mit einem Kollegen mit DDR-Vergangenheit an der TU. Im Sommersemester 1999 wurde diese mit dem Hauptseminar Technik und Aufklärungsphilosophie in Frankreich fortgesetzt. Im Wintersemester 1997/98 fanden gleich zwei interdisziplinäre Veranstaltungen statt: ein Kolloquium zu Fragen biomedizinischer Ethik, zusammen mit Prof. Dr. H. K. Schackert (medizinische Fakultät, Chirurgische Forschung), und ein Hauptseminar zum Thema: Kooperation in ethischer und ökonomischer Dimension, zusammen mit Prof. Dr. M. Lehmann-Waffenschmidt (VWL, Managerial Economics).

In den Jahren 1993 bis 1995 war ich in Dresden ein Quereinsteiger in mehrfacher Hinsicht. Ich hatte nicht die klassischen Voraussetzungen für einen herkömmlichen Technikphilosophen, nämlich weder einen Hintergrund in Physik, Chemie noch in irgendeiner Ingenieurwissenschaft. Dafür beschäftigte ich mich aus philosophischer Sicht mit Biotechnologie und KI. Und ich lernte die Bauingenieurkunst durch die Renovierung eines alten Hauses in einem ehemaligen Weinberg in ziemlich verwilderter Umgebung kennen. Es handelte sich um ein kleines Einfamilienhaus, errichtet nach den Grundsätzen des Dessauer Bauhauses und fertiggestellt im Jahre 1932, dem letzten Jahr ihres Bestehens in Dessau. Eigentlich wollten wir ein Fertighaus errichten, aber es gab weder Bauplätze noch Einfamilienhäuser, und so kauften wir es Ende 1994 zu deutlich überhöhten Preisen. Bis Ende März 1995 war eine Grundsanierung mit etwas Modernisierung und weitgehende Wiederherstellung des Originalzustandes von 1932 trotz eines kalten Winters geschafft. Aber bei uns drängte aus familiären Gründen die Zeit, möglichst schnell umzuziehen. Wir hatten im Januar 1994 mit Unterstützung des Ordens von Mutter Theresa ein indisches Zwillingspärchen adoptiert. Wir holten die Kinder von ihrem damaligen Aufenthaltsort in Neu-Delhi nach dem Semester und einer Reise durch Nordindien ab. Zuvor hatten wir das religiöse Dreieck der indischen Hochreligionen bereist, nicht zuletzt, weil unsere Kinder in einem dieser Zentren, Patna (als Wirkungsstätte von Mahavira, dem Gründer des Jinismus, der Religion der Jaina) geboren wurden. Die anderen Zentren waren Varanasi (Benares) am Ganges für den Hinduismus und Bodghaya, der Ort des Baumes, unter dem Buddha seine Erleuchtung hatte. Auch ich habe unter diesem Baum meditiert und ein abgefallenes Blatt als Erinnerung mitgenommen. Daraus ergab sich eine nicht ganz einfache Situation: meine Frau war für ein Jahr mehr als die Hälfte der Woche mit den Zwillingen allein. Das war ganz schön anstrengend, aber die mehr als 500 km weite Distanz zwischen Siegen und Dresden dauerte mit der Bahn mindestens 10 Stunden, mit dem Auto waren es zwischen 7 und 13 Stunden Fahrt.

Im Wintersemester 1994/95 hatte ich ein kleines Apartment im Stadtteil Reick, sodass wir als Familie schon eine Woche im Januar (also während des Semesters) und auch einen Tag vor dem Möbelwagen gemeinsam in der Lage waren, dort zu wohnen. So konnte ich die Renovierungsarbeiten begleiten. Meine Wissenschaftliche Hilfskraft im ersten Jahr war ein Ingenieur, der keine Stelle in seinem Beruf gefunden hatte. Danach holte ich mir einen Bekannten aus München, der für gewisse Zeiten kam, bei uns wohnen konnte und auch hier und da bei der Verbesserung des Zustandes von Haus und Garten half. Dienstlich hatte ich vom Oktober 1993 bis zum Sommer 1995 ein 5 m² großes Zimmer im Dach einer alten und verkommenen Villa, immerhin in der Nähe des Bahnhofs und „meiner“ Pension dort. In diesem Zimmer saß ich praktisch nie, denn meine eigentliche Wirkungsstätte war das ZIT (Zentrum für Interdisziplinäre Technikforschung) mit drei Zimmern für eine Vollzeitsekretärin, einen Geschäftsführer und einen Dozenten für Naturwissenschaft und Technik. Sie alle hatten an der TU zu Zeiten der DDR bereits gearbeitet. Drei Professoren gehörten zu den gesatzten Mitgliedern des ZIT, die für Technikphilosophie, für Technikgeschichte und Techniksoziologie. Der Vertreter der Technikgeschichte war ebenfalls schon vor der Wende an der TU angestellt gewesen und hatte beste Beziehungen zu den ingenieurwissenschaftlichen Fakultäten. Mein problemgeschichtlicher Zugang zur Technik erlaubte es mir, mein technikwissenschaftliches Wissen über Ingenieure und ihre Geschichte auf den neuesten Stand zu bringen und führte mich in den Kreis der meisten deutschen Technikgeschichtler ein. Ein gemeinsames Treffen dieser Kollegen am Deutschen Museum in München im Jahre 2001 war der Höhepunkt dieser Zusammenarbeit. Dort präsentierte ich zum ersten Mal meinen Ansatz zur Theorie des impliziten Wissens als Weiterentwicklung der Position der Gebrüder Dreyfus und ihrer Expertenkonzeption unter Einbezug der US-amerikanischen Diskussion in diesem Punkt um Don Ihde.

Mit den Diskussionsvorlesungen Kunst und Technik und zu erkenntnistheoretischen Problemen der Technikwissenschaften im Sommersemester 1998 wie im Forschungsfreisemester im Winter 1998/99 bereitete ich eine Konzeption von Technikhermeneutik vor, die das implizite Wissen der Tüftler und Bastler und eine darauf aufbauende Expertenkultur in den Mittelpunkt stellte. In drei Bänden wurde diese 2001 und 2002 im Schöningh Verlag Paderborn veröffentlicht. Im Sommersemester 1998 begann mit dem Seminar zum Skeptizismus von der Antike bis zur Renaissance mit Herrn Dozent Dr. Wöhler, einem Vertreter des dialektischen Materialismus aus Zeiten der DDR, ein Zyklus von insgesamt vier Veranstaltungen in den nächsten zehn Jahren zum selben Themenfeld. Im Wintersemester 1999/2000 präsentierte ich außerhalb des normalen philosophiegeschichtlichen Zyklus eine dreistündige Vorlesung zur Philosophie der Aufklärung. Sie wurde aufgezeichnet und sollte ins Internet gestellt werden, was allerdings aus technischen Gründen nicht gelang. Im Sommersemester 2000 wurde das Thema Aufklärungsphilosophie und Technik in Deutschland zusammen mit Prof. Hänseroth präsentiert, im Sommersemester 2002 fortgesetzt mit dem Thema: Technische Konstruktion - Selbstverständnis und historischer Wandel. Im Wintersemester 2000/01 hielt ich zum ersten Mal ein Proseminar zum Thema Technik in der Literatur. Parallel dazu gab es ein Hauptseminar zu Natur und Mensch in der altindischen Philosophie, gefolgt im Wintersemester 2001/2002 durch ein Textproseminar zur Philosophie der Upanishaden. Im Forschungsfreisemester im Winter 2002/03 konnte ich meine Gastprofessur am IIT Chennai (Madras) am Institut für nachhaltige Entwicklung wie im Department Humanities realisieren. Der Höhepunkt im Sommersemester 2003 war das Hauptseminar zu KI und Expertensystemen – Philosophische und ethische Probleme, zusammen mit Andreas Pfitzmann von der Fakultät für Informatik.

Ich beschäftigte mich ausgiebig mit den Technikwissenschaften zu Zeiten der DDR und hatte auch Diskussionen mit Vertretern der Technikphilosophie in Dresden vor der Neueinrichtung der Professur für Technikphilosophie und des ZIT. Ich lehnte die nicht nur im Osten weitverbreitete Wissenschaftstheorie der Technikwissenschaften als einer angewandten Physik bzw. Chemie ab und orientierte mich eher an der Technologiedefinition von Johann Jakob Beckmann sowie vor allem an Theorien des impliziten Wissens (die Tradition der Tüftler, Bastler und reflektierten Praktiker). München blieb ich weiter verbunden, zunächst durch Wochenendseminare an der VHS, dann durch meine Tätigkeit im Ethikbeirat einer Gewebebank für Leberzellen, welche sich am Klinikum Großhadern (direkte Nachbarn des Genzentrums in München-Martinsried) institutionalisierte. So blieb ich meiner alten Forschungsstätte im Prinzip bis heute verbunden. Im ersten Jahrzehnt meiner Arbeit an der TU Dresden war ich ebenfalls stark engagiert in der Weiterentwicklung der medizinischen Fakultät und zwar zunächst im Bereich von medizinethischen Fragen der Psychiatrie. Unterstützung fand ich damals bei dem Rektor der medizinischen Hochschule, der aus diesem Gebiet kam. Später hatte ich auch eine Zusammenarbeit mit dem Bereich der Humangenetik, wobei ihr Vertreter im ZIT im Rahmen der prädiktiven Medizin von einem genetischen Determinismus ausging, den ich vor dem evolutionären Hintergrund meiner Arbeit sowohl in Dresden wie bei der Arbeit der europäischen Akademie in Bad Neuenahr ablehnte. Einen neuen aus dem Westen kommenden Wind spürte ich bei dem großen Kongress der sächsischen Ärzteschaft im Jahr 2000, in dem ich für Patientenautonomie, Patientenwohl und eine Aufstockung der Pflegekräfte plädierte und damit nicht mehr der neuen Tendenz einer Privatisierung der Uniklinik und dem beginnenden Turbokapitalismus neoklassischer Prägung mit der Deregulierung der Märkte entsprach. Die Folgen dieser ökonomischen Neuausrichtung seit ca. 30 Jahren sind in den letzten zweieinhalb Jahren ja offenkundig geworden, zeichneten sich jedoch bereits seit 2003 bzw. 2005 für einen technologisch-entwicklungsgeschichtlich orientierten Technikphilosophen deutlich ab.

Wenn ich ein Fazit vorab wagen darf: die alte TU Dresden war begierig und bereit, ethische Expertise in ihre Arbeit zu integrieren. Viele Gespräche mit dem Rektor, dem Kanzler und Gerhard Rödel, einem der tragenden Mitglieder des ZIT, dann Mitglied in unserem Projekt Gentechnik in der Pflanzenzucht, Initiator für das Pflicht-Teilgebiet Bioethik im Bachelorstudiengang Biologie und Biotechnologie bis zu meiner Emeritierung, eine meiner besten Freunde an der TU, später Prorektor für Forschung und Mitglied der Exzellenzinitiative zur regenerativen Medizin haben mir den Eindruck vermittelt, dass die philosophische Fakultät als alte und träge Institution den Erwartungen einer technologisch ausgerichteten Universität in Dresden nicht erfüllte. Eine neue pragmatische Form der Institutionalisierung geschah aus den einzelnen Disziplinen heraus. Beispielsweise entwickelte die wirtschaftswissenschaftliche Fakultät eine Umweltkommission mit versuchen der Konkretisierung eines Ökoaudits für die TU selbst. Ich war dort lange Mitglied. Eine weitere solche Institution war die Senatskommission für Tierversuche, der ich mehr als ein Jahrzehnt angehörte. Interessant war die Zusammenarbeit mit Andreas Pfitzmann von der Fakultät für Informatik, wodurch wir eine enge Kooperation der Institute für Philosophie und Informatik anbahnen konnte. Interessant war auch die Zusammenarbeit mit dem Institut für internationale Forstwirtschaft Tharant mit Jürgen Pretzsch, einem weiteren Freund aus den alten ZIT-Tagen, aber auch diese Ausrichtung wird nach der Emeritierung von uns beiden nicht mehr weitergeführt. Ich habe an einer Reihe von Doppelqualifikationen in diversen Studiengängen mitgewirkt und darf nun hoffen, dass die nachfolgende Generation auch in der philosophischen Fakultät Philosophie einfach interdisziplinärer denkt, so wie ein weiterer Freund, Thomas Rentsch, mit seiner Altersphilosophie, der leider, ein Jahr jünger als ich, nicht lange nach seiner Emeritierung verstarb.

Gemäß meinen mit Steig e.V. und in München gemachten Erfahrungen von Interdisziplinarität versammelte ich im ZIT nicht Mengen von anderen Mitgliedern der philosophischen Fakultät, sondern Genetiker, Mediziner, Umweltökonomen, Umweltjuristen und einen Kollegen von der internationalen Forstwirtschaft. Ich richtete das ZIT auf eine Bahn aus, die über unser Projekt zur Gentechnik in der Pflanzenzucht (Technikphilosophie, Genetik, Umweltrecht) über die Biotechnologieschiene und die regenerative Medizin in die Formierung des späteren ersten Exzellenzclusters der TU Dresden geführt hätte. Aber relevanten Vertretern des Institutes für Philosophie war mein Verständnis von interdisziplinärer Technikforschung viel zu konkret. Sie wollten eine Ausrichtung des ZIT an der Kulturphilosophie, die damals im Schwange war, aus meiner Perspektive aber wenig innovativ. Die grundlegende Ausrichtung auf Zukunftsaspekte von Technologie scheint die stark auf Erinnerungskultur und museales Denken orientierten „West-Seilschaften“ in unserer Fakultät der Geschichtsorientierung meines Ansatzes zum Trotz dann wohl endgültig verprellt zu haben. Der Techniksoziologe, ein Anhänger Luhmanns, passte nicht so recht in den eher geschichtlich orientierten Ansatz des ZITs zu meiner Zeit. Aber er passte zu klassischem, ingenieurswissenschaftlichem und kybernetischem Denken und kritisierte wie der an der Physik orientierte Wissenschaftsphilosoph und Vertreter der theoretischen Philosophie in meinem eigenen Institut und einem anderen Kollegen, dem die Soziologie auch näherlag als mir die zu biologistisch und an Nachhaltigkeit orientierte interdisziplinäre Ausrichtung des ZIT unter meiner Geschäftsführung.

Das ZIT war organisatorisch dem Institut für Philosophie zugeordnet, sodass ich die ersten drei Jahre geschäftsführender Direktor war, bevor ich drei weitere Jahre offiziell dazu gewählt wurde. Die inhaltlichen Beiträge zum ZIT in den ersten Jahren der anderen natürlichen Mitglieder aus der philosophischen Fakultät waren eher dürftig. Ihr Interesse bestand ausschließlich in der Umformulierung der Satzung mit dem langfristigen Interesse – wie ich das heute interpretieren würde – eine Soziologisierung des von mir interdisziplinär und problemgeschichtlich orientierten technikphilosophischen Zugangs zu betreiben verbunden mit dem Interesse, das ZIT in eine fakultätsinterne Institution umzuwandeln. Das Patt im ZIT zwischen der interdisziplinär orientierten Richtung der Ausgestaltung des ZIT und einer erst soziologisierenden dann medial ausgerichteten Technikdeutung im Sinne der Fakultät und ihres Selbst-Verständnisses führte zu einer letztlich siebenjährigen Geschichte der Frustration und des Überdrusses daran, meine Bemühungen im ZIT zu dokumentieren und anzubieten. Auf den Punkt gebracht: man wollte im ZIT über Technik philosophieren aber bitteschön ohne die Betroffenen. Und das hatte ja in der Soziologie gerade in Deutschland eine gewisse Tradition. Das freundliche Angebot, auf die Wiederwahl zu verzichten, habe ich abgelehnt, ich bestand auf einer Kampfabstimmung und habe verloren. Und da ich das neue ZIT als Alternative zu meinen Bemühungen und meinem Modell verstanden habe, habe ich mich zurückgezogen. Das Interdisziplinäre verschwand schon bald. Ein neues Programm konnten oder wollten sie nicht anbieten und das Interesse der Fakultät schien auch nicht besonders groß. Der Gesamteindruck für den Rest der Universität war unterschwellig eindeutig: wir wollen eigentlich mit euch nichts zu tun haben.

Es gab einige Dinge, die mich von den meisten Kollegen in der philosophischen Fakultät unterschieden: Zum einen das sogenannte DiMiDo-Phänomen. Professoren waren in der Regel im Semester nur an drei Tagen in der Wochenmitte anwesend und hatten die ganze Zeit ihrer dienstlichen Tätigkeiten in der Regel ein kleines Apartment in Dresden, während sie ihren Hauptwohnsitz in den alten Bundesländern behielten. So hatte ich auch gelebt in den Umbruchszeiten zwischen Würzburg und München und zwischen Siegen und Dresden. Diese Lebensform – mir scheint es, sie war besonders ausgeprägt im geisteswissenschaftlichen Bereich – kam bei der einheimischen Bevölkerung nicht gut an. Jedenfalls sagte man uns insbesondere in der Anfangszeit, dass man es gut fand, dass wir unseren gesamten Lebensmittelpunkt nach Dresden verlegt hatten. Ja, es war am Anfang sehr schwer, für eine Familie geeignet großen Wohnraum zu finden. Denn es dauerte, bis im Umfeld der Stadt Eigenheime und Reihenhäuser zu erschwinglichen Preisen gebaut wurden. Wir zogen jedenfalls mit unseren indischen nen Bundesländern lebten. Wegen der steilen Hanglage im Übergangsgebiet zwischen Dresdener Heide und der beginnenden Sächsischen Schweiz sind größere Wohnhäuser eher eine krasse Ausnahme. Dafür wurden in diesem Teil im 18. Jahrhundert 32 Mühlen betrieben – und auch heute finden sich hier noch viele Handwerksbetriebe. Da wir alle alte reparaturbedürftige Häuser und komplizierte Gartenanlagen hatten, wurde Nachbarschaftshilfe großgeschrieben. Und inzwischen sind wir eigentlich froh, das hier nicht das Konsumniveau herrscht wie in unseren Herkunftsländern in Süddeutschland. Daher entschieden wir uns, auch im Ruhestand hier zu bleiben, obwohl wir wegen Pegida und AfD lange gezögert hatten. Ein wichtiger Grund war, dass unsere Kinder sicher nicht mitgezogen wären, denn sie leben hier trotz gelegentlicher Anfeindungen vollständig integriert.

Ein anderer Grund für meine nicht ganz und problematische Situation in der philosophischen Fakultät war ein gewisser Ost-West-Konflikt im Hinblick auf das Personal. Vor allem in den ersten zehn Jahren merkte man, dass insbesondere die philosophische Fakultät, aber auch Fakultäten wie Erziehungswissenschaften, Wirtschaft und Jura überwiegend mit Professoren aus den alten Bundesländern besetzt waren, während Naturwissenschaftler, Ingenieure und auch die Mediziner doch noch zu einem nicht unbedeutenden Teil schon zu DDR-Zeiten ihre Stellen an der TU gehabt hatten. Dies hatte natürlich mit dem Ausbau der TU Dresden zu einer Volluniversität zu tun, führte aber dazu, dass die Professur für Technikphilosophie im Hinblick auf die Gesamtsituation der TU Dresden zwischen alle Stühle geriet. Außerdem zeigte sich, dass gerade meine stark an Praxis orientierte Art des Philosophierens über Wissenschaft und Technik, einschließlich Ökonomie und Kultur, in den Kernfächern der alten TU Dresden besser ankam als in meiner eigenen Fakultät und zumindest auch einem Teil des Instituts. Die Sonderentwicklung der philosophischen Fakultät im Rahmen der Gesamtuniversität hat dazu geführt, dass die Professuren für Techniksoziologie und Technikphilosophie auf Betreiben der Fakultät abgeschafft wurden. KI wird nun von der philosophischen Fakultät als mediales Ereignis im Rahmen von Eventökonomie behandelt, wodurch die eigentlich interessanten epistemologischen und wissenschaftsphilosophischen Fragen der neuen technologisierten Wissenschaft nicht mehr an der TU Dresden reflektiert werden.

Ein weiterer gravierender Unterschied zwischen mir und meiner Fakultät bestand in meinem Verständnis von Interdisziplinarität, verbunden mit einer wachsenden Zukunftsorientierung zur Beurteilung von kulturellen Prozessen. Die Nachfrage nach Lehrexport und Kooperationen auch hinsichtlich von Projekten war groß, ausgehend von meinen Schwerpunkten im Bereich Biologie/Biotechnologie bzw. regenerativer Medizin und Informatik/Bionik, aber ebenso in Umweltökonomie und internationaler Forstwirtschaft. Die Unterstützung durch den Rektor und den Kanzler war bis in die Mitte des ersten Jahrzehnts ebenfalls bemerkenswert. Dann kam eine neue Generation aus dem Westen und trieb eine Ökonomisierung der Universität, im besonderen Maße des Uniklinikums, im Geiste neoliberalen Denkens voran. Die philosophische Fakultät definierte sich zunehmend durch Lehrerausbildung, im Falle der Philosophie im Fach Ethik, und das ZIT wurde immer mehr zum Organisator des Studiums Integrale, allerdings mit einer stark geisteswissenschaftlichen, bisweilen klassisch kybernetischen (für mich also eher technokratischen) Ausrichtung. An einem ZIT, wie sie offenbar von einer bestimmten „West-Seilschaft“ in der Fakultät gewollt wurde, hatte ich kein Interesse mehr. Und so wurde ich quasi auf den Weg geschickt, eine geisteswissenschaftliche Forschung zu dem sich neu entwickelnden Verhältnis von Wissenschaft und Technologie eigener Art zu erarbeiten, die sich nicht mehr traditioneller Wissenschaftsphilosophie auch des Ingenieurswesens verpflichtet fühlt, sondern über Technikhermeneutik und Technikphänomenologie zu einer synergetischen Design-Hermeneutik und einer synergetisch-strukturalen Entwicklungs-Phänomenologie unterwegs war.

In der Anfangsphase war es sehr schwierig, Hilfskräfte für englische Übersetzungen zu finden. Dann bot sich mir eine Mitarbeiterin für Spanisch an, die die enge Zusammenarbeit mit Argentinien, Chile und Bolivien zwischen 1996 und 2005 begleitete und 2001 sogar mit zu Veranstaltungen in Argentinien war. Die zu starke Orientierung an Naturwissenschaft und Technik des ZIT waren Stein des Anstoßes, freundliche Aufforderungen, eine reibungslose Übergabe zu ermöglichen, habe ich ignoriert und ließ es auf eine Kampfabstimmung ankommen. Die habe ich verloren. Nachdem ich mit meinem Verständnis von Interdisziplinarität in der Technikforschung an einer immer stärkeren Geschichtsorientierung der Fakultät im Sinne einer Erinnerungskultur und Orientierung am Musealen gescheitert war, intensivierte ich meine Bemühungen um eine praktisch ausgerichtete forschende Philosophie hier wie in Übersee und orientierte mich mehr an Berlin (VDI und Acatech). So arbeitete ich inspiriert von der Evolutorischen Ökonomik, die an der TU Dresden mitentwickelt wurde und meiner Herkunft aus der evolutionären Erkenntnistheorie durchaus entsprach, an einer Theorie der kulturell und gesellschaftlich eingebetteten technologisch-ökonomischen Entwicklungspfade, welche sich transkulturell mit Innovation, ökosozialer Modernisierung sowie Technologie- und Kulturtransfer beschäftigte. Dies geschah in Publikationen zu Technik und Kultur in Südamerika, sowie in Indien und China und konkret in Ländern wie Indonesien, Südkorea und Japan. Zentrale Inspirationen kamen zudem von der Technikphilosophie in den USA. Eine Reihe bedeutender Kollegen konnte ich mit Sondermitteln des Kanzlers nach Dresden zu Veranstaltungen einladen und war auch zu drei Gegenbesuchen in den Rocky Mountains (Bergakademien) und Long Island. Dabei orientierte ich mich an dem ursprünglichen Ansatz von SPT, der problemgeschichtlicher war, als der STS genannte, der mehr in Richtung Soziologie und Technikfolgenabschätzung ging. Das SPT-Konzept erwuchs wie ich selbst in meiner Jugend der Hippie-Bewegung und der Synergetik, während sich das STS-Modell eher an Kybernetik, Utilitarismus und positivistischer Soziologie ausrichtete, und war inspiriert von Fragen der Epistemologie und getrieben von Zukunftsorientierung mit Utopien als Leitbildern. Die neue Phase begann im Sommersemester 2003 mit einem Forschungsfreisemester und endete in einem solchen im Wintersemester 2011/12, mit einem Höhepunkt im Forschungsfreisemester im Sommer 2007. Dort entstand meine umfangreiche Philosophie der Technik und das Werk Technik als Macht.

Im Sommer 2004 begann die Vorlesung Einführung in die Bioethik für Hörer aller Fakultäten, speziell aber für die Studenten der Fachrichtungen Biologie und Biotechnologie, die am Ende eine Klausur schreiben mussten. Deren Note ging als Bestandteil in das Gesamtprüfungsergebnis ein. Diese Vorlesung dauerte bis zum Sommersemester 2018. Da das Institut für Philosophie diese Leistung nach meiner Entlassung in den Ruhestand nicht mehr erbringen konnte, musste die Prüfungsordnung für die beiden Studiengänge geändert werden. Außerdem wurde das Proseminar Technik in der Literatur fortgesetzt. Es begann ein Zyklus von Master-Forschungs-Seminaren mit US-amerikanischen Technikphilosophen, die zunächst zu Forschungsseminaren an die TU Dresden kamen, angefangen mit dem Haupt- bzw. Blockseminar Technoscience, gehalten mit Prof. Don Ihde vom Philosophy Department der Stony Brook University, New York. Immer im Wintersemester wurde die Diskussionsvorlesung Einführung in die Umweltethik im alten Zentralgelände der TU angeboten. Im Winter 2004/2005 fanden erstmals eine Vorlesung zur Ethik der Medizin und des Gesundheitswesens für den neu geschaffenen Bereich „Gesundheit und Pflege“ an Berufsschulen statt, ein gemeinsames Hauptseminar zum Thema Praxis in der Philosophie Heideggers mit Thomas Rentsch, sowie, zum ersten Mal, ein Proseminar zum Thema Neurophilosophie und KI. Im Sommersemester 2005 wurde erstmals die Vorlesung Amerikanische Philosophie der Wissenschaft und Technik angeboten, der das Forschungsseminar: Der SPT-Ansatz als Blockseminar mit Prof. Carl Mitcham in englischer Sprache vom 10. bis 12. Juni 2005 folgte. Mit dem Wintersemester 2005/2006 und den Hauptseminaren Ethische Probleme der Informationsgesellschaft und Philosophie des Geistes, Neurophilosophie und KI begann die Zeit der Hauptseminare im Hörsaal (wegen überhöhter Lehrbelastung mit bis zu 320 Studenten in zwei Kursen in einem Hörsaal). Im Sommersemester 2006 fand eine Veranstaltung zur Technikphilosophie Andrew Feenbergs mit Feenberg selbst als Blockseminar in englischer Sprache, sowie im Wintersemester 2006/2007 die Vorlesung Philosophie der Wissenschaft und Technik in den USA statt.

Ab dem Wintersemester 2007/2008 bis zum Wintersemester 2017/2018 wurde das Proseminar Waldkultur und Beratung durchgeführt, eine Veranstaltung mit Jürgen Pretzsch in englischer Sprache zur Kulturellen Einbettung von Technikanwendung in der globalisierten Forstwirtschaft in Dresden Tharandt. Im Wintersemester 2008/2009 fanden ein Proseminar zur Wissenschaftstheorie der biologischen Wissenschaften und ein Hauptseminar zur Philosophie des Commonsense statt, im Sommer 2009 ein Hauptseminar zur technischen und ökonomischen Entwicklung: ethische Probleme und zur Philosophie Friedrich Nietzsches, sowie ein Forschungsseminar zur Autonomen Technologie. Dem folgten im Sommersemester 2010 ein Hauptseminar zu Natur und Technik: Nachahmung der Natur, Enhancement und künstlicher Natur, sowie ein Oberseminar zur Wissenschaftsphilosophie Edmund Husserls phänomenologische Untersuchungen und Phänomenologie der Lebenswelt. Schwerpunkt des Wintersemesters 2010/2011 war das Hauptseminar Kosmos und Logos in der Philosophie der Vorsokratiker: Zur Genese des europäischen Konzeptes des Wissens und im Sommersemester 2011 neben dem Proseminar zur ursprünglichen Philosophie Buddhas das Hauptseminar zu Julien Offray de la Mettrie und die materialistische französische Aufklärungsphilosophie.

Mit der Umstellung auf das Bachelor- bzw. Master-Studiensystem und dem massiven Ausbau der Ethiklehrerausbildung begann Mitte des Jahrzehnts eine extreme Überlast in einem Bereich, der nicht mein eigentliches Aufgabenfeld war. Ich hätte mich dagegen wehren sollen, denn Technik war kein Schulfach und die Lehrpläne in Sachsen für Ethik enthielten auch kaum Raum für Fragen der Technologieentwicklung. Für mich war die Sache inhaltlich reizvoll, denn mit der Beschäftigung mit der US-amerikanischen Technikphilosophie hatte eine weitere Welle der Hinwendung zur Forschung stattgefunden. Um dies bewältigen zu können, musste ich oft bis lange in die Nacht hineinarbeiten. Besonders intensiv war die Arbeit in meinem Forschungsfreisemester im Sommer 2007. Mitten in einer Woche ausschließlich für Zwischenprüfungen traf mich ein Tinnitus, der operiert werden musste. Dies kostete mich die Teilnahme an einer Exkursion der Professur für internationale Waldkultur in den südlichen Sudan, nach Äthiopien und Kenia im Rahmen einer Promotionsbetreuung an diesem Institut. Die Visa für die drei Länder hatte ich bereits in meinem Pass. Nach meiner letzten Reise in die USA infizierte ich mich im Rahmen einer Blutvergiftung mit einem multiresistenten Keim, der mich für fast zehn Jahre lang mit regelmäßig wiederkehrenden Formen eines Erysipels heimsuchte. Lang andauernde Antibiotika-Behandlungen waren die Folge. Wegen der Überlast in der Lehre erhielt ich zwischen dem Wintersemester 2009/10 bis zum Sommersemester 2011 zwei zusätzliche Wissenschaftliche Hilfskräfte für die Lehre. Deren Einarbeitung erwies sich aber eher als zusätzliche Belastung.

Im Frühjahr 2012 war ich aufgrund eines Lungenödems ein zweites Mal dem Tod sehr nahe, erhielt daraufhin ein Beatmungsgerät für die Nacht und einen Schwerbehindertenausweis. Im Zusammenhang damit musste ich meine Lehrbelastung zurückbauen (eine Stunde Lehrermäßigung war mit dem Behindertenstatus sowieso verbunden), sodass ich mehr Veranstaltungen in Masterstudiengängen anbot. Auch die Ausrichtung veränderte sich: meine Forschungssemester im Winter 2011/12 und 2016/17 waren nun der Beschäftigung mit der Evolutionstheorie in der Biologie vorbehalten. So kam es immer mehr zu einer Ausrichtung sowohl an KI wie an Biotechnologie und der immer weiteren Ausbildung meiner Theorie der technologisch-ökonomischen Entwicklungspfade mit der Publikation eines umfangreichen Buches im Jahr 2016.

Die neue Forschungsausrichtung wurde schon im Sommer 2012 mit dem zusammen mit Herrn Wöhler veranstalteten Hauptseminar zu den Materialisten des 18. Jahrhunderts, dem Hauptseminar zur Philosophischen Skepsis und Rechtfertigung objektiven Wissens sowie dem Oberseminar zu Helmuth Plessners Anthropologie und Technikphilosophie deutlich und wurde im Wintersemester 2012/2013 mit dem Proseminar zur Prävention als ethischem Konzept in der prädiktiv-personalisierten Biomedizin, dem Hauptseminar zu Philosophischer Skepsis im 18. Jahrhundert von Hume, Reid und Kant sowie dem Hauptseminar zu Natürlicher, menschlicher und technischer Intelligenz im Rahmen einer hermeneutisch-phänomenologischen Philosophie des Geistes fortgesetzt. Im Sommersemester 2013 fand sie mit einem weiteren mit Herrn Wöhler gehaltenen Hauptseminar zu Materialistischen Konzeptionen der Naturwissenschaft und der Philosophie sowie dem Hauptseminar zur Philosophischen Skepsis und antiskeptischen Argumenten in der Philosophie des 20. Jahrhunderts eine Fortsetzung. Ein neuer Forschungsansatz wurde im Oberseminar über Kriege und Neue Kriege und zum Funktionswandel der Militärtechnik im 21. Jahrhundert ausprobiert. Im Wintersemester 2013/2014 stand ein Hauptseminar zu Evo-Devo, Evolutionstheorie und Genetik im Mittelpunkt, während im Sommersemester 2014 die Hauptseminare zu Leibniz‘ Epistemologie I: Kleinere Schriften zur Metaphysik, Logik und Mathematik und Leibniz‘ Epistemologie II: Theodizee, Nouveaux Essais, Monadologie wie zur Wissenschaftsphilosophie transdisziplinärer Forschung durchgeführt wurden. Im Wintersemester 2014/15 wurde im Master-Studiengang Philosophie der Wissenschaft und Technik eine Vorlesung zur Philosophie des Lebens und der biologischen Wissenschaften, im Bachelor-Studiengang zur Epistemologie von Maurice Merleau-Ponty, und ein Forschungsseminar zu Technoscience und Technoresearch veranstaltet. Im Sommer 2015 wurde ein Proseminar zu Altindischer Philosophie und Religion (Upanishaden) und ein Hauptseminar zu Wilhelm Diltheys Geisteswissenschaften und Weltanschauungslehre angeboten.

In Zusammenarbeit mit der Graduiertenakademie und deren Ausweitung in Richtung geisteswissenschaftlicher Fächer und Philosophie sollte ich, von dieser Institution unterstützt, etwa seit meinem sechzigsten Geburtstag mit einem kleinen Team aus der Wissensarchitektur einen Antrag auf eine DFG-Forschergruppe zum Themenfeld „Selbstorganisation transdisziplinären Wissens“ erarbeiten. Er wurde am 09. Juli 2015 eingereicht. Wir entwickelten eine Konzeption interdisziplinärer Formen eingebetteter Selbstorganisation von Wissen gemäß dem Modell der Theorie komplexer dynamischer Systeme in Theorie und Praxis mit sechs Gruppen in verschiedenen Fakultäten. Sie sollten zugleich ein Explikations-, Erprobungs-, wie Überprüfungsfeld für die theoretische Konzeption darstellen. Der Antrag wurde 2016 nicht bewilligt, allerdings nicht wegen der unzureichenden Form der Theorie, sondern wegen organisatorischer Probleme einzelner Teilprojekte, die ja für die Theorieentwicklung und ihre Überprüfung enorm wichtige Bedeutung hatten. In diesem Zusammenhang erfolgte aber eine Rückbesinnung auf Forschungsansätze zwischen evolutionärer Erkenntnistheorie, dem Übergang von klassisch starker symbolischer KI zu evolutionär orientierten Formen von neuronalen Netzen und Deep Learning und dem Übergangsfeld von Metamathematik bis zur Metaepistemologie, mit denen ich mich zwischen 1980 und 2001 unter Vertiefung meiner Kenntnisse im skeptischen Denken beschäftigt hatte. In noch unreifer Form veröffentlichte ich einige der neuen Ansätze in der Replik zu meiner Festschrift zum 60. Geburtstag, die mit der Festschrift im Jahr 2015 erschien. In den folgenden Jahren entwickelte ich diese Gedanken und methodologischen Ansätze weiter zu einer synergetischen Hermeneutik des Modelldesigns und einer synergetisch-strukturalen Phänomenologie.

Im Wintersemester 2015/2016 wurde die Vorlesung zur Gestaltung technologischer Entwicklungspfade im Globalisierungsstrudel (zusammen mit dem Studium Integrale), einschließlich eines Proseminars/Tutoriums, sowie ein Masterseminar zum Impliziten und expliziten Wissen in den Technikwissenschaften (Michael Polyani und Ludwik Fleck) angeboten. Im Sommer 2016 fand die Vorlesung über das neue Bild der Wissenschaften vom Menschen statt. Im Wintersemester 2017/18 wurden ein Hauptseminar zur Technologischen Transformation der Wissenschaftsphilosophie (Technoscience, Laboratoriumswissenschaften, Technoresearch und Projektwissenschaft; Wissenschaftsphilosophie im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts), ein Hauptseminar über Hypermoderne: Digitalisierung von Technologie, Ökonomie und Kultur/Gesellschaft, sowie ein Hauptseminar, zusammen mit Dr. Federica Buongiorno, über Edmund Husserls Spätphilosophie (Lebenswelt, Erfahrung, Urteil und Berechenbarkeit) angeboten. Im Sommersemester 2018 folgten dann ein Proseminar zu KI, Expertensystemen und neuronalen Netzwerken und zum Internet der Dinge (epistemologische und ethische Probleme), ein Hauptseminar zu Commonsense, Empirie und Zweifel an der Reformuniversität Göttingen der Aufklärung (zweite Hälfte 18. Jahrhundert), sowie ein Forschungsseminar zu Aspekten hypermoderner Technologie und Mensch-Maschinen-Interaktion. Im Wintersemester 2018/19 entfielen aufgrund eines längeren Krankenhausaufenthaltes sämtliche Veranstaltungen bis auf das Forschungsseminar zur Selbstrückbezüglichen Skepsis Ende März 2019.

Unser Haus bot viele Möglichkeiten zum Feiern, z.B. mit einer ca. 80 Quadratmeter großen Terrasse und einem Wohn-Esszimmer von ca. 35 Quadratmetern. Aufgrund meiner internationalen Lehre hatten wir viele Gäste aus dem südlichen Lateinamerika und Indien, verstärkt durch die Treffen mit der deutsch-indischen Gesellschaft (wegen unserer Kinder), aber auch aus den USA, Australien und England, aus Äthiopien, Indonesien, Japan und Südkorea. Ca. 20 Jahre war ich Vertrauensdozent des Cusanuswerkes, und so hatte ich eine Gruppe von zwischen 15 bis 25 Stipendiaten zweimal im Jahr bei uns zu Gast. Auch unser Doktorandenkreis (eigentlich von allen, die eine Arbeit bei mir geschrieben haben) kam regelmäßig, insbesondere auch in der Vorweihnachtszeit zusammen. Die Möglichkeiten im Sommer waren hervorragend, die Anbindung durch Straßenbahn die ganze Nacht gewährleistet, und die Bushaltestelle quasi am Eingang unseres Anwesens zumindest bis 1 Uhr in der Nacht und ab 4 Uhr morgens verfügbar. Nicht selten wurde es (oft mit Feuerschale) 5 Uhr morgens, weil sie den ersten Bus verpasst hatten. Die Distanz zu den umliegenden Häusern war weit genug und die Toleranz für studentisches Leben ebenfalls, sodass wir nicht zu leise sein mussten. Nur wenige Meter entfernt war das Gasthaus Zur Eule, angeblich das älteste Gasthaus in Sachsen mit durchgehender Bewirtungsfunktion. Dies war ein geeigneter Platz für offizielle Feiern. Corona sorgte für eine Unterbrechung für zwei Jahre, allerdings hoffen wir alle auf eine zumindest gewisse Wiederbelebung der alten Tradition.

Inzwischen habe ich meine theoretische Konzeption von Technoresearch und Hypermoderne auf der Basis von datenzentrierter Wissenschaft und Forschung, insbesondere in ihrer Verschränkung zwischen KI und Transformation-Biotechnologie und Systembiologie weiterverfolgt und ausgebaut. Ich arbeite an einer Theorie der Transformation der Forschung durch datenzentrierte Wissenschaft mit dem Versuch der direkten Strukturierung von Empirie vor dem Hintergrund der Modellierung einer inneren Logik der turbokapitalistischen Globalisierung, die seit der Forschungsarbeit im Sommersemester 2007 zur Technik als Macht eine neue Dimension eröffnet.

Angekündigt war für das WS 2018/19 wegen meines angegriffenen Gesundheitszustandes jeweils in Form eines Wochenendseminare ein Proseminar zur Genomeditierung, evolutionäres Potenzial, synthetische Biologie und bionische Bioökonomie: epistemologische und ethische Probleme; ein Hauptseminar zu Paul Ricoeur: Der Konflikt der Interpretationen und die Hermeneutik der Ich-Identität, ein Hauptseminar zu Subjektivität und Perspektivität und im Masterstudium ein Forschungsseminar Selbstrückbezügliche Skepsis. Gehalten habe ich nur das letzte, bei mir zu Hause. Eine Veranstaltung an der Universität wäre aus gesundheitlichen Gründen völlig ausgeschlossen gewesen nach fast viereinhalb Monaten im Krankenhaus mit einer Woche „Heimaturlaub“ über Silvester. Da meine Professur gemäß Fakultätsbeschluss nicht weitergeführt wurde, räumte ich mein Zimmer. Es waren immerhin zwei große Regale zur antiken und mittelalterlichen Philosophie und ca. Aktenordner mit Experten gelesene Werke, Sammlung eigener Vorträge, die nicht veröffentlicht wurden, Mitschriften von Vorlesungen und wichtigen Seminaren, vor allen Dingen zwei Aktenordner zur Dokumentation meiner Studien zu altindischen Philosophie, zur mittelalterlichen Mystik und viele Texte zur Aufklärungsphilosophie und nicht zuletzt zur skeptischen Traditionslinie. Sie kamen in mein Schlaf- und Patientenzimmer mit einem Bett wie im Krankenhaus nur in Holzausführung mit einem Kleiderschrank in offener Metallausführung einem kleinen Regal für die medizinische Betreuung.

Schon seit dem Sommer 2017 hatte ich begonnen, meine Bibliothek radikal umzustrukturieren und auf die neuen Anforderungen durch den Themenwandel ihn auf die gesellschaftlichen, ökonomischen, technologischen und wissenschaftlichen Entwicklungstrends in Richtung Zukunft umzustellen. Eine nicht unerhebliche Menge von Büchern wurden verschenkt, Zeitschriften, Skripten und Konzepten für Lehrveranstaltungen ins Altpapier gegeben. Ab dem Frühsommer 2019 erfolgten eine ganze Reihe von Vorträgen und Veranstaltungen vor allem in Dresden, darunter ein offizieller Gastvortrag im Rahmen einer Veranstaltung des Dresdener Graduiertenkollegs zur Mensch-Maschinen-Interaktion. Der am weitesten entfernte Vortrag war im Kloster Bernried im Rahmen einer Weiterbildungs-Veranstaltung für evangelische Pastor*rinnen. Auf der Rückfahrt besuchte ich meine Schwiegermutter in Kirchheim unter Teck und verbrachte noch eine knappe Woche in Würzburg bei meinen Geschwistern, alten Freunden und nahm an unserem 47-jährigem Klassentreffen Teil. Die Forschungsseminare wurden bis Ende Februar 2020 weitergeführt aber und musste dann aufgrund von Corona eingestellt werden, da ich zu den Patienten aufgrund der Vorerkrankungen mit dem ziemlich höchsten Gefährdungspotenzial gehörte. Nachdem ich in der Zwischenzeit erfahren hatte, dass sich bei Promotionsverfahren an der philosophischen Fakultät nicht mehr prüfberechtigt war, löste ich meinen Doktorandenkreis auf und gründete noch im selben Jahr eine Forschergruppe, die sich das Themenfeld Commonsense und KI als ihr Aufgabenfeld erwählt hat. Ihre Mitglieder sind Professor Dr. Federica Buongiorno (Universität Florenz), BA Friederike Frenzel (meine letzte Mitarbeiterin und Doktorandin im Abschluss ihres Verfahrens, was jetzt wieder möglich ist) und Manja Büttner-Unger (mit Diplom der Bauhaus Universität Dessau und dem Magister in Technikphilosophie der TU Dresden, Doktorandin im Abschluss ihres Verfahrens an der TU Cottbus). Eine nähere Beschreibung der Projektgruppe findet sich in der Kurzeinführung am Anfang.

Bedingt durch die Pandemie musste ich für die interne Arbeit unserer Forschergruppe und für die externe Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlern sehr schnell die Techniken der Videokonferenz und der digitalen Zusammenarbeit lernen. Ich nahm teil an Videokonferenzen zum technologischen Kapitalismus, zur technologischen Entwicklung im Kontext zu Nachhaltigkeitsdiskussionen vor allem Vorfeld und in der Nachbereitung der Bundestagswahl 2021. Nachdem meine Mitarbeit an der Betreuung der Projekte der Innovations- und Technikanalyse (ITA) des BMBF – Gesamtüberblick Zukünfte erforschen und gestalten. Die Innovation- und Technikanalyse des BMBF – zum Themenfeld 1: Künstliche Intelligenz und virtuelle Realitäten (Einzelthemen: a Konvergenz in KI und moderner Humangenomik – Deepen Genomics; b Aufsteigendes Bewusstsein in der KI – KI-Bewusstsein und c Qualität und Fairness von ADM-Systemen – FairAndGoodADM) Ende März 2021 abgeschlossen war, begann Anfang Mai per Videokonferenzen die Zusammenarbeit unserer Forschergruppe mit dem Center for Ethics and the Digital Society der TU Kaiserslautern zum Thema Explainability of AI und bis heute weitergeführt. In Zusammenarbeit vor allem mit Friederike Frenzel aus unserer Forschergruppe bereitete ich ein Exposé für die SPT Virtual Conference vom 28-30sten Juni 2021 an der katholischen Universität Lille vor. Er trug den Titel: An Epistemology fort the Algorithmic turn. Outlining a Cyberphilosophy Program (näheres findet sich dabei auf Research Gate). Im Mai 2022 haben wir das persönliche Treffen des Seminars unserer Forschungsgruppe wiederaufgenommen und laden auch zu einzelnen Diskussionsrunden z.B. Mitglieder von NetphilTech ein. In Zusammenarbeit mit dem Institut der TU Berlin zur Luft und Raumfahrt und der gleichnamigen Gesellschaft werde ich Ende September auf deren Kongress in Dresden einen Vortrag zum Thema „Cyborgs für die Raumfahrt? Evolutorische Robotik statt Transhumanismus“ halten.

Die Publikationen nach meinem Ruhestand begannen 2020 mit Roboterbewusstsein, automatisiertes Entscheiden und Transhumanismus. Anthropomorphisierungen von KI im Licht evolutionär-phänomenologischer Leib-Anthropologie wurden 2021 fortgesetzt mit „Homo digitalis“, Künstliche Intelligenz und christlicher Glaube in: J. Brantl (Hg.) Personen gestalten Institutionen - Institutionen prägen Personen. Leben im Spannungsfeld individueller und sozialer Verantwortung. In der aller jüngsten Zeit erschienen von mir im philosophischen Literaturanzeiger zwei umfangreiche Literaturberichte, die fast einen systematischen Charakter tragen, nämlich im Jahr 2021 der Bericht: Neuere Literatur zu theoretisch-epistemologischen Fragestellungen der künstlichen Intelligenz; und im Jahr 2022 (Bio)Philosophie, eine neue Evolutionstheorie und die Konvergenz von Biotechnologie und KI. Die wegen Papiermangels verzögert erschienenen, aber schon 2021 geschriebenen Bücher konnten nun 2022 veröffentlicht werden, nämlich Vom impliziten technischen Wissen zum technologischen Design von KI und Biotechnologie; Cyberphilosophie des Design-Konzeptes der Tüftler und reflektierten Praktiker mit ca. 180 Seiten und Wege zu ökosozial-liberalen hypermodernen Technologiezivilisationen. Networking, KI, Kybernetik und Synergetik – die Rolle von Wissenschaft und Technologie, mit ca. 400 Seiten. Seit Herbst 2021 arbeite ich an zwei weiteren Büchern zur Geistphilosophie: Epistemologische Rahmenbedingungen einer Hermeneutik des leiblich Mentalen. Evolutionäre Erkenntnistheorie, neuronal-synergetische Entwicklungsbiologie, kognitive Psychologie, Cognitive Science und Deep Learning: Informationsverarbeitung im Licht einer synergetischen Hermeneutik und Phänomenologie des Mentalen und Zur wechselseitigen Generierung von Mentalisierung und materialen wie symbolischen Kulturen. Sensomotorische Intelligenz, Umgangswissen und die Genese des leiblichen Denkens in Interaktion und Kommunikation.

Städte, in denen ich länger gelebt habe



Über 6 Monate: Paris, Buenos Aires

Über 1 Monat: Florenz, Chennai (Madras, Süd-Indien), Johannesburg (Südafrika), Salatiga (Zentral-Java, Indonesien), Santiago de Chile